#communityprojekt100 - 100 ikonische Streetfotos #47

Eine schemenhafte dargestellte Figur in Bewegung und ein Raum, der ebensolchen zur Interpretation bietet. Meine Herausforderung war es, Minor White’s Number 56 der Motion Studies neu umzusetzen. Dass sich der recht akademisch akkurate Titel auch in der Umsetzung widerspiegeln wird, war mir von Anfang an klar und das nicht nur, weil Minor White’s kontrastreichen Schwarz-Weiß-Umsetzungen im Zonensystem ein hohes Maß an Prävisualisierung und damit Planung erforderten.

Zu meiner Person:

Mein Name ist Wolfgang Mannhart. Ich bin von Beruf Optikermeister und passionierter Fotograph. Seit vielen Jahrzehnten bildet so das Visuelle sowohl in Freizeit als auch im Beruf einen großen Teil in meinem Leben. Von meinen Anfängen mit analoger Fotographie an bis hin zur detaillierten digitalen Bildbearbeitung war und ist die Kamera mein ständiger Begleiter.

Das Foto:

Das Bild zeigt die Bewegung einer gespenstischen Person. Sie flieht abwärts auf einer Treppe zu einem Ziel, das wiederum keine finale Destination darstellen kann. Es lässt die Frage offen, wohin es weitergeht. Eine düstere, zweite Treppe führt hin zum selben Punkt. Dass diese zweite Treppe als finaler Weg zum Ziel zu betrachten sei, lässt die Atmosphäre aber nicht vermuten.

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Meine Gedanken zur Analyse des Fotos:

1. Der Raum, in dem sich die Figur bewegt, weicht vom klassischen Weg-Ziel-Motiv ab. Die Treppen deuten keine Richtung an, sondern führen zu einer abgesetzten kleinen Plattform. Doch was hinter dieser Plattform zu finden ist, lässt Minor White durch einen klug gesetzten Abschnitt der Fotographie für die Interpretation des Betrachters offen.

2. Genauso wie der Raum lässt die Bewegung keine eindeutige Richtung erkennen. Verschwindet die Gestalt, erscheint sie – oder flieht sie über die Treppen? Abgesehen von einem einzigen erkennbaren Schuh, der eine Bewegung nach unten andeutet, verschwimmt die Figur vollends in ihrer Bewegung.

3. Die Unklarheit der Situation wird durch ein drittes Element unterstrichen. Auch die Gestalt selbst gibt wenig klare Anhaltspunkte. Die Silhouette scheint von einer Orientierungslosigkeit, einer Unklarheit ob des Weges, geplagt. Sie bildet mit starkem Kontrast zur hellen Wand ein Gegenstück zum dargestellten Raum und wird wohl nicht an diesem Ort verweilen wollen.

Meine Gedanken zu Umsetzung des Fotos:

Zur Neuinterpretation des Bildes wollte ich einerseits den Kern in neuer Szenerie behalten als auch marginal konkretere Elemente hinzufügen. Die Uneindeutigkeit von Raum, Person und Bewegung sollte bewahrt werden, aber dennoch die Möglichkeit gegeben werden, die eine oder andere Nuance der Greifbarkeit zur Verfügung zu stellen.

1. Dies habe ich zuallererst durch eine Änderung des Formats intendiert. Die scheinbar endlose Dynamik der Szenerie gewinnt einen Hauch von Richtung und Ziel durch die Umsetzung im Querformat.

2. Der Hintergrund einer Häuserfront löst in geringem Maße die Unsicherheit über den Weitergang am rechten Bildrand auf. Aber nicht der alternative Weg im Anschluss an den so unklaren Punkt, an dem sich die Treppen treffen, soll gezeigt werden – dieser bleibt undefiniert. Die Häuser stecken jedoch eine grobe Richtung ab, in der es möglicherweise weitergehen könnte, sollte nicht die zweite Treppe das angesinnte Ziel sein. 

3. Die vage Gestalt und Bewegung der Figur bleibt in der Gänze erhalten. Der rechte Fuß stellt weiterhin den einzigen Anhaltspunkt für eine erahnte Bewegungsrichtung dar. Nichtsdestoweniger wird weiterhin offenbleiben, ob sich die Figur nun eindeutig zur zweiten Treppe hinbewegt oder doch verschwindet beziehungsweise erst erscheint. Die Unklarheit von Bewegung und Figur ist das zentrale Element, das die Orientierungslosigkeit auch in etwas konkreterer Szenerie zeigt.

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Mein Fazit:

Minor White schafft es ganz präzise, das Bild so wirken zu lassen, als wäre es ad-hoc entstanden. Doch bei zweimaligem Hinsehen und auch bei der Umsetzung wird schnell klar, wie konkret die Planung zu dieser „Momentaufnahme“ sein muss. Diese Balance zwischen Flüchtigkeit der Situation und Prävisualisierung der Aufnahme herzustellen, war eine schöne Herausforderung und ich hoffe, sie ist mir gelungen. Meine Hoffnung ist, ich konnte sowohl dem Original einigermaßen gerecht werden als auch meine eigene Inspiration mit in die Neuumsetzung einbringen und bedanke mich für die Möglichkeit bei Frank.